Kais Geschichte
Arbeitsunfall mit schwerwiegender Folge:
An einem Donnerstag im September 2018 blieb für Kai die Zeit stehen
Kai aus Nordrhein-Westfalen ist gelernter Maschinen- und Anlagenführer. Bei seinem Arbeitgeber, einem Hersteller für Kühlkörper und Gehäuseteile, bedient er u.a. die sogenannte Richtbank, die dazu dient, Aluminiumteile in die gewünschte Form zubiegen. „Die daraus entstehenden Endprodukte“, so erklärt mir Kai, „werden in allen High-Tech-Bereichen gebraucht, um Wärme abzuleiten.“ Während er spricht, merkt man, dass er für seine Arbeit brennt und sich eine andere Tätigkeit gar nicht mehr vorstellen könnte.
Beruflich und privat angekommen, sind Kai und Ehefrau Nina im Herbst 2018 in freudiger Erwartung ihres ersten Kindes. Alles scheint perfekt, wäre da nicht der besagte Donnerstag im September, der das Leben des werdenden Vaters nachhaltig verändern soll. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit genügt dem damals 40-Jährigen, um Opfer eines schweren Arbeitsunfalls zu werden. Die kraftvolle, elektronisch gesteuerte Maschine, die er schon seit geraumer Zeit bedient, zieht seine rechte Hand ein und obwohl er geistesgegenwärtig den Stoppknopf drückt, haben seine Fingerglieder und auch die Haut an seiner Hand bereits schweren Schaden genommen.
Dass Kai zunächst keinen Schmerz wahrnimmt, ist dem tiefsitzenden Schock zu verdanken. Noch in diesem Zustand gelingt es ihm jedoch, einen Kollegen zum Ruf eines Rettungswagens zu bewegen und schon wenig später wird er in das nahe gelegene Bergmannsheil Krankenhaus in Bochum gebracht. Von jetzt an überlässt sich Kai der Expertise der Ärzt:innen im festen Glauben, dass „die das schon wieder hinkriegen.“
Eine Teilamputation ist unausweichlich
Als Kai im Krankenhaus eine Erklärung bezüglich einer möglichen Amputation seiner Hand bzw. Fingerglieder unterschreiben soll, wird ihm erstmals klar, dass die Unfallfolgen doch ernster sind als zunächst angenommen. Tausend Gedanken wirbeln durch seinen Kopf, hat er doch immer noch die Hoffnung, dass seine Hand erhalten werden kann. Für jemanden wie ihn, der sein Geld mit einem Handwerksberuf verdient, bedeuten Verlust oder Verstümmelung einer Hand unter Umständen das berufliche Aus. Vor dem Hintergrund der gerade begonnenen Familiengründung schürt diese Ungewissheit auch Zukunftsängste. Auch um die Weiterführung seines Sports fürchtet der passionierte Handballer, der seit Kindertagen in dieser Sportart Erfolge feiert. „Der Handballsport“, so Kai, „ist insofern bedeutend für mich, als er mich fast mein ganzes Leben lang begleitet und ich meine Frau Nina darüber kennengelernt habe. Ich habe mich in allen Jugendklassen bis ziemlich weit nach oben gespielt und kann mir bis heute ein Leben ohne den aktiven Handballsport nicht vorstellen. In meiner späten Jugend hatte ich großes Interesse und auch das Potenzial in den Profisport zu wechseln. Jedoch konnte ich dieses Ziel aufgrund einer Rückenverletzung damals nicht weiterverfolgen.“
5 minus 3 = 2
Dass er gleich nach dem Wachwerden aus der Narkose herausfinden möchte, was ihm von seiner rechten Hand geblieben ist, versteht sich von selbst. „Sehen konnte ich wegen des riesigen Verbandes zunächst ja nichts, aber mir wurde versichert, dass man so wenig entfernt hatte wie nötig und so viel erhalten hatte wie möglich. Als Resultat dieser handchirurgischen Meisterleistung blieben mir mein beweglicher rechter Daumen und der kleine Finger, amputiert wurden der Zeige- und Mittelfinger sowie der Ringfinger. Glück im Unglück“, wie Kai zufrieden feststellt.
“5 minus 3 = 2, aber überleg mal, was noch möglich ist!”
Kai
Im Frühjahr 2019 erblickt Moritz das Licht der Welt
Der mehrwöchige Aufenthalt in einer nahegelegenen Rehaklinik beschleunigt die Heilung der Amputationswunden und stärkt in Kai den Wunsch, nach seiner Entlassung wieder voll durchzustarten. So kann er im April 2019 nach Hause, gerade rechtzeitig, um die Geburt seines Sohnes zu erleben.
Handprothese – aber welche?
Noch im Krankenhaus wird der Nordrheinwestfale von Orthopädietechnikern des Care Centers über prothetische Versorgungsmöglichkeiten für seine Hand informiert. Erstmals befasst er sich mit dem Unterschied zwischen hochfunktionalen, myoelektrischen Handprothesen und rein kosmetischen Versorgungen, auch Schmuckprothesen genannt. Dass eine Schmuckprothese ohne Funktionalität kein Thema für ihn ist, weiß Kai sofort. „Als einer, der bei der Arbeit, beim Sport und in derKindererziehung auf „funktionierende Hände“ angewiesen ist, kann ich mit einer „leblosen Extremität“ nichts anfangen. Da musste meine Eitelkeit ganz klar den rationalen Überlegungen weichen.“ Dass es anderen Menschen, insbesondere Mädchen und Frauen, in dieser Hinsicht anders ergeht, kann Kai aber nachvollziehen. „Für manche Menschen hat die Vollständigkeit des Körperbildes eben einen höheren Stellenwert als für mich.“
Er selbst fokussiert zunächst auf die Möglichkeit einer myoelektrischen Versorgung, die eine Reihe von Funktionalitäten bietet. Nach einigen Anproben jedoch ist er auch von dieser Lösung nicht vollständig überzeugt. „Das war im Sommer 2019 und der Zeitpunkt, als die Mitarbeitenden des Bochumer Care Centers auf eine absolute Neuheit im Bereich der Handprothetik aufmerksam wurden.“ In Deutschland seinerzeit noch gar nicht zugelassen, bot diese in den USA entwickelte mechanische Teilhandprothese namens MPC-Driver das, was sich Kai insgeheim erhofft hatte. „Schon bei der ersten Anprobe hatte ich richtige Gänsehaut, weil mir gleich klar war, dass hier die Lösung meines Problems vor mir lag. Eine Rückkehr an meinen Arbeitsplatz war sofort vorstellbar, da die Teilhandprothese, zusammen mit meinen verbliebenen Fingern, alle notwendigen Arbeitstätigkeiten unterstützen würde.“
Der robuste MPC-Driver wird individuell gefertigt und sowohl am Handgelenk als auch an den verbleibenden Fingerstümpfen befestigt. Der Materialmix aus hautfreundlichem Silikon, Kunststoff und Titan ermöglicht seinem Träger ein Höchstmaß an Fingerfertigkeit – von starkem Zugreifen bis zum feinmotorischen Tippen auf einer Tastatur. „Dank der haargenauen Anpassung an meine speziellen anatomischen Voraussetzungen fühlt sich die Hand nicht weniger „echt“ an als meine gesunde Hand.Abends nehme ich die Prothese in Sekundenschnelle ab – so wie man nach einem langen Arbeitstag seine Schuhe abstreift.“
Ende gut alles gut
Kai, der sowohl seine Arbeit als auch den Handballsport wieder aufgenommen hat, ist inzwischen als Botschafter einer – wie er betont – genialen Erfindung unterwegs. So gibt er Interessierten im Rahmen von Fach- und Informationsveranstaltungen gern Einblicke in seine Erfahrungswelt.
„Ich finde es wichtig, anderen Menschen in ähnlicher Lage zu vermitteln, dass so ein Arbeitsunfall wie der meine nicht das Ende der Welt bedeuten muss. Man kann sich mit vielen Situationen arrangieren und am Ende ein normales Leben führen. Nun bin aufgrund meines Sports eher eine Kämpfernatur, aber ich verfüge auch von Hause aus über eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung. Diese versuche ich bei jeder Gelegenheit auch an andere weiterzugeben.“
Was das Familienleben mit zwischenzeitlich zwei aufgeweckten Kleinkindern betrifft, so kann Kai weder beim Toben, Raufen, Schwimmen noch Klettern irgendwelche Einschränkungen verzeichnen. Dass bei seinem Nachwuchs schon jetzt überdurchschnittlich gute motorische Anlagen erkennbar sind, freut die sportlichen Eltern natürlich sehr. Ob Moritz und Marleen (geboren 2021) sich auch mal für den Sport der Eltern begeistern lassen, wird sich zeigen.
Name: Kai
Berufliche Tätigkeit: Maschinen- und Anlagenführer
Ort: Sauerland, Deutschland
- Zeit mit meinen Kindern verbringen
- Neue Bauprojekte
- Handball
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