Tanja Michel
Für Tanja und ihre Großfamilie läuft’s: mit Hilfe einer motorgetriebenen Beinprothese
Ein Haus mit Garten, ein Ehemann, ein Sohn, drei Töchter und ein Hund: Die Herausforderungen für Tanja M. aus Hessen kann man ohne Übertreibung als anspruchsvoll bezeichnen. Dass sie seit etwas mehr als zwei Jahren eine Oberschenkelprothese an der Stelle ihres linken Beins trägt, geht beim Kennenlernen der Powerfrau nahezu unter, so sehr beeindruckt die 52-Jährige mit ihrer positiven Ausstrahlung. Und sie kann viel erzählen, von einem langen Leidensweg, der schließlich ein gutes Ende fand.
Als 2005 ihr zweites Kind zur Welt kam, lag Tanjas Skiunfall, der den Beginn ihrer Knieprobleme markierte, schon ein paar Monate zurück. Das Gelenk schien sich zunächst stabilisiert zu haben, die Knieproblematik trat in den Hintergrund. Tanja bekam in den folgenden Jahren zwei weitere Töchter. Damals war für die Küsterin in einer Kirchengemeinde und Managerin eines 6-Personenhaushalts die Welt noch in Ordnung. Doch dann zerstörte eine unbedachte Bewegung endgültig das vorgeschädigte Knie.
“Wenn ich gehe, kostete es nicht mehr so viel Kraft. Ich kam schnell gut zurecht und wusste, dass dies das perfekte Kniegelenk für mich war.”
Tanja
Start eines unglaublichen OP-Marathons
Verschiedene Operationen mit herkömmlichen Knie-Endoprothesen brachten nicht den gewünschten Erfolg. Andauernde Schmerzen verlangten nach immer neuen Maßnahmen; eine endlose und zermürbende Reihe von insgesamt 108 (!) medizinischen Eingriffen folgte. Ob sie im Verlauf dieser schmerzhaften Jahre schon mal ans Aufgeben gedacht hatte? „Nein, ich habe meine Optimismus nie verloren. In dieser Hinsicht halte ich es mit Oscar Wilde, der gesagt haben soll: ‚Am Ende wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.‘ Bei jedem neuen medizinischen Eingriff war ich fest davon überzeugt, dass es dieses Mal klappen würde.“ Die Kraft zum Durchhalten verdankt die begeisterte Sportlerin vermutlich ihrer Leidenschaft für den Handballsport, der sie bis in die Regionalliga führte. „Dort habe ich gelernt, dass Durchhalten ebenso dazu gehört wie Gewinnen und Verlieren.“
Entscheidung für eine Amputation
Doch schließlich kam der Punkt, an dem Tanja vor die Wahl gestellt war, das eigene Bein um jeden Preis zu erhalten oder eine Amputation mit der Aussicht auf eine hochmoderne Prothesenversorgung vornehmen zu lassen. „Die erhaltende Alternative wäre eine Versteifung des linken Beins gewesen und was dieser Funktionsverlust für mein Leben bedeuten würde, hatte ich ja schon in den schmerzvollen Jahren zuvor erlebt.“
Die Entscheidung für eine elektronisch gesteuerte Prothesenversorgung ist allerdings noch kein Garant für eine sofortige und unbeschwerte Mobilität. So gilt es zum Beispiel bei der Auswahl und Anpassung des Prothesenschaftes einiges zu beachten. In Tanjas Fall erforderte ein Weichteilüberhang von 13 Zentimetern an ihrem Beinstumpf besondere Aufmerksamkeit. „Und hier kommt der Orthopädietechniker meines Vertrauens ins Spiel, dem ich als Prothesenanfängerin viel zu verdanken habe. Neben seiner fachlichen Expertise brachte Frank viel Einfühlungsvermögen und einen Perfektionsanspruch mit, der ihn so lange nicht ruhen ließ, bis er die optimale Lösung für meine Bedürfnisse gefunden hatte“, erzählt Tanja begeistert.
“Nein, ich habe meine Optimismus nie verloren. Bei jedem neuen medizinischen Eingriff war ich fest davon überzeugt, dass es dieses Mal klappen würde.”
Tanja
Ihr neues Leben mit dem Power Knee™
Rund zwei Jahre nach ihrer ersten Prothesenversorgung ist Tanja geradezu verliebt in ihr „intelligentes“ Power Knee™ von Össur. Die deutlich hörbaren Geräusche des motorgetriebenen Prothesengelenks nimmt sie gern in Kauf angesichts der spürbaren Antriebskraft, die es ihr beim Gehen und beim Aufstehen aus der Sitzposition verleiht. Selbst nach einem ermüdenden Tag, wenn Tanja eigentlich nur noch sitzen möchte, kann sie den treuen Hundeaugen ihrer Hündin Paula nicht widerstehen.
„Dank der „Schubkraft“ meines Power Knee™ werde ich mühelos in den Stand befördert. Die Prothese kann sozusagen meine Intention, mich vom Stuhl zu erheben, vorhersehen. Das funktioniert, indem ich einen gewissen Druck auf meinen linken Fuß gebe, der dem Motor im Knie signalisiert, dass jetzt der Antrieb benötigt wird. Das klingt total verrückt, ist aber so.“ Auch die lange Leistungsdauer des Prothesen-Akkus mit 25 Stunden Einsatzbereitschaft kommt Tanja sehr entgegen. Wenn sie einmal vergessen sollte, ihr Power Knee™ über Nacht aufzuladen, trägt es sie trotzdem durch über den nächsten Tag. Auf die Frage, welchen Wunsch sich Tanja gern erfüllen würde, wenn sie einen Zauberstab hätte, weiß sie sofort eine Antwort.
„Na ja, als ehemalige Sportlerin sehe ich auch schon mal mit Besorgnis in den Spiegel. Lange Phasen von Bewegungsarmut bringen zwangsläufig auch überflüssige Pfunde mit sich. Die gelegentlichen Bauch-Beine-Po-Trainingseinheiten mit meinen Töchtern reichen da leider nicht aus, um wieder die alte Form zu erreichen.“ Ihren inneren Schweinehund möchte sie deshalb unbedingt überwinden. Kürzlich wurde sie auf das Outdoor-Training einer Ärztin in Wald und Feld für Teilnehmer mit unterschiedlichen Ambitionen aufmerksam. Sie traut sich jetzt durchaus zu, mit Nichtamputierten zu trainieren, und will sich bald einer der Gruppen anschließen.
Familie, Freunde und Nachbarn sind begeistert
Tanja ist froh, dass ihre Kinder keinerlei Berührungsängste mit dem Thema Amputation und mit der Prothesentechnik haben. Ihrem Mann und ihren Kindern ist vor allem wichtig, dass sie wieder aktiv ohne Einschränkungen den Familienalltag mitgestalten kann. „Mein Ältester scherzte erst kürzlich, dass meine Power-Prothese mich zu einer Art Action-Heldin macht. Er war auch der Erste, der meinen Schaft mit einem entsprechenden Aufkleber versehen hat.“
Wenn Tanja mit ihrer Labradorhündin Paula die nähere Umgebung erkundet, zeigt sie ihre Beinprothese ganz selbstverständlich auch in kurzer Kleidung. „Bei uns im Ort erlebe ich ausschließlich wohlwollende Blicke und manchmal auch interessierte Fragen von Kindern. Für mich ist das in Ordnung, aber andere entscheiden sich vielleicht lieber für einen hautfarbenen Prothesenüberzug aus Silikon.“
Aus heutiger Sicht würde Tanja alles wieder genauso entscheiden, auch wenn sie einräumt: „Natürlich gibt es da ein oder zwei Dinge, die ich noch nicht bedenkenlos machen kann, wie z. B. Radfahren oder Aktivitäten, die das Eintauchen in Wasser erfordern.“ Letzteres versuchte sie zum ersten Mal, als sie im Sommer 2022 mit einer wasserfesten Leihprothese am „AmpSurfcamp“ (Surf & Fun für Amputierte und Freunde) in der Nähe von Heidelberg teilnahm. Der Initiator Thomas Frey ist selbst amputiert und weiß am besten, was es für Prothesenträger:innen bedeutet, das scheinbar Unmögliche möglich zu machen. Kein Wunder, dass Tanja bereits dem diesjährigen Surfcamp entgegenfiebert.
Als hoffnungslose Optimistin konzentrierte sich die 52-Jährige noch nie auf ihre Defizite, sondern darauf, was heute wieder möglich ist. Besonders freut sie sich darüber, dass sie sich auch in unebenem Gelände kräftesparend bewegen kann. „Außerdem wurde ich im Rahmen einer Begutachtung als offiziell fahrtauglich befunden, sodass ich mich in meinem Wagen mit Automatikgetriebe frei bewegen kann – übrigens auch ohne meine Prothese.“
Tanjas Fazit nach den vielen Jahren
„Alles in allem hatte ich großes Glück mit der Unterstützung meiner Familie, die all meine Krankenhaus- und Rehaaufenthalte gut gemeistert hat. Mein Sohn hat sich über längere Strecken toll um seine jüngeren Schwestern gekümmert. Für ihn bedeuteten tatsächlich die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen eine Erleichterung, als mein Mann für längere Zeit im Home Office arbeiten und mehr für die Familie da sein konnte. Meine Familie behandelt mich manchmal noch wie ein rohes Ei, aber sie unterstützt mich immer dabei, neue Ziele in Bezug auf meine Alltagsmobilität zu erreichen.
Mir ist inzwischen bewusst, dass es mit einer Amputation und einer einzigen passgenauen Prothesenversorgung eben nicht getan ist. Ich befinde mich in einem lebenslangen Prozess, der neben körperlichen Veränderungen auch technologische Prothesen-Updates und die Weiterentwicklung von Hightech-Materialien mit sich bringen wird; nicht zu vergessen meine sich verändernden Bedürfnisse in Bezug auf Mobilität und Komfort.
Ich würde ich gern weitere Prothesenfüße ausprobieren, die sich aufgrund meiner körperlichen Voraussetzungen momentan noch nicht verbauen lassen. Aber ich habe vollstes Vertrauen zu meinem Orthopädietechniker, der nichts unversucht lassen wird, um mir auch dies zu ermöglichen.“
Name: Tanja Michel
Berufliche Tätigkeit: Familienoberhaupt, Mutter, Stütze der Gemeinde
Ort: Lützellinden, Deutschland
- Das Familienleben
- Aktiv bleiben mit Labrador Paula
- Unterstützen des lokalen Handballvereins